Beim kreativen Arbeiten ist es wichtig, die Zügel an den richtigen Stellen locker zu lassen. Der Prozess dient als Rahmen, die Herausforderung, die bearbeitet wird, gibt die grobe Richtung vor. Deswegen ist es so wichtig, eine gute, soll heißen passende, Fragestellung ins Rennen zu schicken, damit die kreativen Antworten auch das identifizierte Problem lösen. Aber danach gilt: Loslassen!

Wo Standard-Schablonen hilfreich sind

Für das routinierte Ausführen von Tätigkeiten sind Standard-Schablonen klasse. Sie bieten Orientierung und ermöglichen Effizienz. Und damit schaffen sie Zeit und Energie für kreative Prozesse. Das ist gut so. Wenn wir bei jedem Handgriff, den wir tun, überlegen müssten, welche Varianten uns denn noch einfallen, wäre der Tag voll mit Frühstück machen und vielleicht noch zur Arbeit fahren. „Soll ich an der roten Ampel anhalten, aussteigen und singen, oder doch lieber im Auto warten, bis es grün wird?“ Naja, Sie sehen, worauf ich hinaus will.

Popcorn pufft nicht gut in Förmchen

Können Sie sich vorstellen, Puffmais in kleine Förmchen zu stecken, um nachher standardisiertes Popcorn zu erhalten? Ich auch nicht. Und dennoch versuchen wir genau das im Innovationskontext. Wir erwarten planbare Ideen auf Knopfdruck, die schon in Kategorien und Bürokratie untergehen, bevor sie überhaupt ihre erste Diskussion erlebt haben. Wir ersticken Innovationen im Business-Keim, weil wir sie managen wollten, wie wir den Betrieb managen. Das geht schief. Und dann wundern wir uns, dass nichts Neues dabei herumkommt. Quasi in den kleinen Puffmais-Förmchen.

Effiziente Auswahl setzt Ressourcen frei

Wenn wir nun hingehen, und frühzeitig im Prozess entscheiden, mit welchen Ideen weitergearbeitet werden soll, und welche wir aussortieren oder zumindest parken, dann bleibt eine kleine Auswahl an Ideen übrig, die wir mit voller Kraft vorantreiben können. Das garantiert immer noch nicht, dass alle diese Ideen dann auch erfolgreich sind, aber zumindest können wir uns voll und ganz darauf konzentrieren, sie zum Fliegen zu bringen, und versenken nicht mehr so viel Energie in irgendwelche Sackgassen.

Hart aber herzlich

Wie sollte denn die Bewertung und Auswahl der Potenzialträger Ideen erfolgen? Am besten konstruktiv. Klar, der ganze Ideenprozess sollte konstruktiv sein und wertschätzend – schließlich kennen wir alle das vielgenutzte Bild, dass eine Idee ein zartes Pflänzchen ist, das geschützt werden muss. Aber das heißt nicht, dass jedes Pflänzchen auf unserem Ideen-Acker geschont werden sollte. Wir sollten nicht aus mangelnder Entschlossenheit heraus einfach mehr Ideen weiter verfolgen. Das würde uns unserem Ziel nicht näher bringen. Im Gegenteil, denn dann bekämen die guten Ideen nicht genug Nährboden ab. Wir müssen also schon mit der Harke ran. Und das nicht zu knapp. Von der Ideation in die Entwicklungsphase können wir nur eine kleine Auslese an Roh-Ideen mitnehmen. Dabei hat sich die erwähnte COCD-Box der gleichnamigen belgischen Organisation (aus Creativity Today) sehr bewährt, mit ein paar Anpassungen. Wichtig ist dafür natürlich, dass wir die richtigen Kriterien anlegen. Wir Menschen stehen von Natur aus Neuem eher skeptisch gegenüber, und in vielen Situationen hat sich das bewährt. Außer, wenn wir die Ideen-Harke in der Hand haben. Da sollten wir ein besonderes Augenmerk auf das Neue legen, und es zumindest in Betracht ziehen. Denn viele Ideen, die uns zunächst als nicht überlebensfähige Setzlinge erscheinen, können mit etwas kreativem Dünger zu faszinierenden Nutzpflanzen heranwachsen.

Die üblichen Bewertungskriterien sind kontraproduktiv

Wenn es um die Auswahl von Roh-Ideen geht, sind die gewohnten Prüfsteine, wie Effizienz oder Portfolio-Fit, Budget-Passung oder Markt-Tauglichkeit nicht hilfreich. In diesem Stadium der Idee kann man das bei Innovationen nämlich noch gar nicht beurteilen. Man muss solche Kriterien auf jeden Fall im Blick behalten, um sie bei der Weiterentwicklung der Ideen zu berücksichtigen. Aber sie sollten nicht angewendet werden, um Ideen so früh im Prozess auszumerzen.

Hier geht es viel mehr darum, als wohlwollender Gärtner offen und neugierig auf die Ideen zu schauen, und dort, wo man Möglichkeiten ahnt, noch einmal genauer hinzuschauen und der Idee eine Chance zu geben. In manchen Fällen wird man sogar, mit etwas Erfahrung, ein paar Setzlinge auswählen, die irgendwie interessant aussehen, ohne dass man sich vorstellen kann, wie sie aussehen, wenn sie groß sind. Davon werden manche dann hinterher auf den Kompost geworfen (und haben damit ihren Zweck erfüllt, den Horizont des Gärtners erweitert zu haben und können fortan als Nährstoff für andere Pflanzen dienen). Und einige wenige tragen später tolle Früchte.

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist Murks

Dies ist zumindest im Innovations-Kontext so – wahrscheinlich sonst auch, aber das sollen andere beurteilen. Damit aus den Setzlingen aber ausgewachsene Nutzpflanzen werden können, müssen wir ihnen Freiraum zum Wachsen geben. In der Kreativ-Welt bedeutet das, dass wir ein wenig Vertrauen investieren. Sowohl in die Idee als auch in diejenigen, die damit arbeiten. Wenn wir sofort anfangen, die Idee zu stutzen und zu trimmen, erhalten wir im Zweifelsfalle einen Bonsai-Abklatsch von bereits bestehenden Ideen. Kann man schön finden. Aber wenn man darauf nicht aus ist, dann sollte man es tunlichst unterlassen, jeden kleinen Trieb sofort abzuzwacken, bloß weil er vielleicht in eine unerwartete Richtung wächst.

Und lassen Sie die Menschen, welche die Idee entwickeln wollen, doch am besten echte Verantwortung übernehmen. Das können sie am besten, wenn sie experimentieren, Erfahrungen sammeln und diese anwenden dürfen. Es versteht sich von selbst, dass dies nicht funktioniert, wenn sie ständig den kalten Atem des Kontroll-Apparates im Nacken spüren. An dieser Stelle ist die alte Redewendung, dass Kontrolle besser sei, schlichtweg falsch. Das müssen wir wirklich über Bord werfen. Und wenn Menschen Verantwortung übernehmen, dann stehen sie mit viel mehr Engagement hinter einem Thema, das ist der beste „Kontrollmechanismus“ den Innovation bekommen kann.

Einfach mal die Fernbedienung aus der Hand geben

Ein Unternehmer in einem meiner Workshops hat es neulich einmal so formuliert: „Einfach mal die Fernbedienung aus der Hand geben!“. Dann sehen Sie vielleicht auch mal einen Film, den Sie sonst nicht auf dem Radar gehabt hätten. Und zur Abwechslung mal nicht die Wiederholungen der alten Schinken. Auch wenn die natürlich sehr schön sind. Und vertraut. Aber als Führungskraft benötigen Sie Ihre Zeit für Wichtigeres, als die Kontrolle Ihrer MitarbeiterInnen. Und je deutlicher Sie einen solchen Vertrauensvorschub an Ihre MitarbeiterInnen kommunizieren (und wirklich danach handeln), desto wertschätzender wird er wahrgenommen.

Im Klartext heißt das, dass die Bewertungs-Regeln für das Ziel zwar explizit definiert sein müssen, der Pfad dahin jedoch erst unterwegs bestimmt werden kann. Und wo genau die Reise hingeht weiß man eben bei Innovationen im Vorfeld nicht.

Kontrolle ist Angst-getrieben

Das ist nicht nur für Innovations-Projekte relevant. Sondern auch in vielen anderen Bereichen. Denn es heißt eigentlich nur, dass wir die Kontrolle nicht abgeben wollen, weil wir befürchten, dass schreckliche Dinge geschehen, wenn wir nicht bis ins kleinste Detail darauf achten, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Angst war aber schon immer ein schlechter Ratgeber. Erst recht, wenn es darum geht, neue Wege zu beschreiten.

Außerdem: was sind die „rechten Dinge“? Wenn wir das vorher wüssten, dann wären wir auf dem klassischen Ausführungs- bzw. Umsetzungspfad. Sie wissen schon, der, wo Effizienz und Geradlinigkeit zählt. Der, bei dem wir mit den guten alten Projektmanagement Methoden am besten vorwärts kommen. Aber da sind wir ja nicht. Wie sind auf verschlungenen Wegen im Neuland unterwegs. Ohne Karte, nur mit dem Kompass und unserem Orientierungssinn. Natürlich können wir hier mit Micro-Management auch das Fortkommen beschleunigen – aber wohin?

Hinzu kommt, dass Kontrolle ein Energiefresser ist. Sie frisst die Energie der Kontrollierenden, denn Kontrolle ausüben kostet einfach Zeit! Und sie frisst die Energie der Kontrollierten: ihre Motivation. Was vermutlich viel schlimmer ist: denn diesen internen Motor braucht es, um neugierig Fragen zu stellen, Ideen zu haben und mutig zu sein, neue Wege zu gehen.

Also, noch einmal ganz deutlich: Kontrolle macht Innovation fast unmöglich. Vertrauen und Loslassen sind der Nährboden für die fruchtbaren Ideen von morgen.

Nachtrag

In meinem Artikel “Ideas-Just the Tip of the Iceberg“ bin ich auch schon darauf eingegangen, wie positiv sich ein Gefühl von Sicherheit auf die produktive Risikobereitschaft von Menschen auswirkt. Nur wenn man sich sicher fühlt, wird man bereit sein, den bestehenden Rahmen zu hinterfragen und Neuland zu betreten. Man ist für eine Expedition ins Unbekannte einfach besser ausgerüstet.

Baermann, Maren: Ideas: Just the Tip of the Iceberg of Positive Effects 
from a Creative Working Culture. In Ideas, Creativity and Innovation. Keys to Survival. Hg. von  P S Gopalakrishnan. Hyderabad: Icfai University Press, 2008, 17-27.