Wenn wir davon sprechen, die Innovationskraft von Unternehmen zu stärken, müssen wir an erster Stelle daran denken, die Menschen in diesen Systemen zu stärken. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Das schaffen wir am besten, wenn wir eine Umgebung erschaffen, die motivationsförderlich ist.
In der „guten“ alten Zeit von Management 1.0, zu der die metaphorische Peitsche noch als probates Mittel gesehen wurde, um die Hamster im Rad etwas anzuspornen, war es sehr modern, wenn man nicht nur besagte Peitsche, sondern auch noch Zuckerbrot im Repertoire hatte. Leider hat sich aus dieser Zeit so manche fragwürdige Praktik erhalten, wie in Organisationen mit Menschen umgegangen werden sollte.
Wenn nun also Zuckerbrot und Peitsche out sind, wie soll man denn dann den Antrieb der Verantwortlichen und Unverantwortlichen im Unternehmen fördern?

Es gibt billigen Sprit und nachhaltigen Treibstoff

Jetzt wird’s kurz ein wenig theoretisch, aber da die meisten von intrinsischer Motivation irgendwie schon einmal gehört haben, möchte ich sicherstellen, dass wir das Gleiche meinen. Intrinsische Motivation ist die Motivation, die sich aus der Handlung selbst speist. Sie wohnt der Tätigkeit inne, weil die Handlung selbst Freude bereitet oder Erfüllung bietet. Damit hängt die Motivation von Menschen, die intrinsisch motiviert agieren, nicht von einem Ergebnis ab. Die Inspiration für eine intrinsisch motivierte Handlung kommt durch die Ausübung ebendieser Handlung. Ein Kind hat Spaß am Spiel, das Ergebnis des Spielens an sich ist ihm nicht wichtig.
Die Qualität von Motivation für eine Handlung steigt mit dem Grad der Selbständigkeit an, die eine Person bei der Entscheidung für oder gegen diese Handlung ausüben kann. Je mehr das Ziel dem eigenen Machtbereich unterliegt, desto robuster und dauerhafter ist der Antrieb, dieses Ziel zu erreichen. Je weniger von außen beeinflusst wird, je autonomer der Mensch handelt, desto näher dran ist er an intrinsischer Motivation.
In der Psychologie werden daher intrinsische Motivation und „fast intrinsische Motivation“ unter dem Begriff autonome Motivation zusammengefasst. „Fast intrinsische Motivation“ entsteht dort, wo zwar die Tätigkeit selbst nicht unbedingt Erfüllung bereitet, das Verhalten aber dennoch zu den eigenen Werten und Überzeugungen passt und es Individuen ihrem eigenen Lebensziel näherbringt.
Dem gegenüber steht die kontrollierte Motivation. Hierbei sind Handlungen z.B. durch Strafe oder Belohnung motiviert. Oder aber der Mensch versucht Scham zu vermeiden oder das Selbstwertgefühl zu stärken. Seit Christopher Avery (danke Andreas für den Hinweis auf dessen Responsibility Process beim Scrumtisch letzte Woche!) wissen wir, dass Menschen dann keine Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Sie tun nur das, was nötig ist, um die Strafe oder die Scham zu vermeiden.

Das Spektrum der Motivation

Wir müssen hier nicht zwischen den verschiedenen Abstufungen unterscheiden, daher spreche ich einfach nur von autonomer Motivation und fremdbestimmter bzw. kontrollierter Motivation. Dieses Modell hatte ich auf der Product People Herbst 2018 vorgestellt, hier kommen dazu ein paar Details.

Das 1,2,3 der Motivation

Autonome Motivation entsteht dann, wenn drei universale Grundbedürfnisse des Menschen erfüllt sind: Wir möchten autonom sein, uns als kompetent erleben und „dazu gehören“ (siehe Kasten). Demnach hängt auch die autonome Motivation eines Menschen zu einem konkreten Thema davon ab, wie gut es diese drei Bedürfnisse bedient. Diese These wurde bereits vor über 30 Jahren von Deci und Ryan1 aufgestellt und seitdem 100fach wissenschaftlich untersucht und belegt.

Werden diese drei Grundbedürfnisse über längere Zeit hinweg nicht erfüllt, sinkt die Motivation der Menschen in diesem Kontext. Am Arbeitsplatz geht dies auch immer mit Verlusten bezüglich der Arbeitsqualität einher, aber auch mit verringertem Wohlbefinden bis hin zu schlechterer Gesundheit. Tatsächlich trägt die Frustration aufgrund nicht erfüllter Grundbedürfnisse maßgeblich zu Phänomenen wie Burnout, aber auch zu destruktivem Arbeitsverhalten bei.

Autonomie

Autonomes Handeln ist freiwillig und selbstbestimmt. Menschen haben das Bedürfnis, eigenständig zu entscheiden, wie sie sich verhalten. Sie möchten nicht kontrolliert oder manipuliert werden. Sie wollen eigenverantwortlich sein. Dies ist nicht zu verwechseln mit dem Drang nach Unabhängigkeit oder Menschen, die eher Einzelgänger sind.

Kompetenz

Menschen sehen gern, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat. Ein hoher erlebter Wirkungsgrad macht zufrieden und gibt Ansporn, sich weiter zu entwickeln und die Kompetenz in einem Gebiet auszubauen. Dieses Streben wird auch als Bedürfnis zu perfektionieren beschrieben; Herausforderungen zu finden, die es erfordern, dass man sich streckt und weiterentwickelt. Rückschläge oder langsame Fortschritte werden dabei als Lernerfahrung verbucht und tragen (in Maßen) zur Erfüllung des Kompetenzwunsches bei.

 

Eingebundenheit

Dieses etwas sperrige Wort bezeichnet das Bedürfnis, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Dies bezieht sich sowohl auf die soziale Komponente, als auch auf den Sinn eines Unterfangens. Auf der sozialen Ebene speist sich die Bedürfnisbefriedigung daraus, mit anderen Menschen einem angenehmen Umgang zu pflegen, als Individuum wertschätzend wahrgenommen zu werden und tragfähige Bindungen aufzubauen. Die Sinnhaftigkeit speist sich aus der Erfüllung der eigenen Werte-Struktur, dem Beitrag zu einer inspirierenden Vision und dem Wunsch, etwas Bleibendes und Wertvolles zu schaffen.

Entstehung von autonomer Motivation

Wenn wir hochmotivierte Menschen beobachten, beschreiben wir sie häufig als hartnäckig und leidenschaftlich für ein Thema. Wir sagen „er brennt für das Thema, obwohl dabei viele unbezahlte Überstunden anfallen“ oder „sie gibt trotz vieler Hindernisse bei diesem Projekt nicht auf“. Wir sehen instinktiv, dass dieser Wille, ein Thema auch unter schwierigen Bedingungen voran zu bringen, nicht von außen gesteuert ist, sondern aus der Person heraus kommt. Und das bewundern wir. Allerdings gibt es noch ein paar weitere spannende Beobachtungen:

  • Autonom motivierte Handlungen machen Menschen zufriedener und stressresistenter, da die Ausübung der Handlung selbst (und nicht erst die Zielerreichung) erfüllend erlebt wird. Dies hat positive Auswirkungen für die MitarbeiterInnen, und es macht sich z.B. auch in geringeren Fehlzeiten bemerkbar.
  • Autonom motiviertes Verhalten führt zu höherer Qualität im Arbeitsergebnis. Und zu einer geringeren Zahl an Fehlern. Dies liegt daran, dass die MitarbeiterInnen stärker engagiert sind und sich auf die Tätigkeit konzentrieren, statt auf einen äußeren Anreiz zu fokussieren.
  • Autonom motiviert arbeitende MitarbeiterInnen sind agiler und innovationsfähiger, da sie nicht von Vorgaben abhängig sind, die ihnen zu einem vergangenen Zeitpunkt in einem inzwischen veralteten Kontext gemacht wurden.

Das Gefühl, kompetent zu sein, begünstigt Motivation (siehe „Grundbedürfnisse“). In Studien konnte gezeigt werden, dass herausfordernde Tätigkeiten, deren Anspruch auf einem optimalen Niveau lag, hochgradig motivierend sind. Dies korrespondiert auch mit dem sogenannten Flow-Empfinden2 von Csiksentimihalyi, das Menschen erleben, wenn der Schwierigkeitsgrad einer Tätigkeit im Einklang mit den vorhandenen Fähigkeiten liegt. Dann kommen Menschen in einen „fließenden“ Zustand, in welchem sie jegliches Gefühl für Raum und Zeit verlieren können, da sie so in der Handlung aufgehen, dass Aspekte außerhalb der Tätigkeit (inkl. Bewertung oder Zielerreichung) völlig irrelevant werden. Der Fokus liegt in der kompetenten Ausübung der Handlung, und nur dort.

Der Zusammenhang zwischen gefühlter Kompetenz und autonomer Motivation offenbart sich auch beim Geben von Feedback: Konstruktives Feedback, das Menschen hilft, sich weiter zu entwickeln und Verantwortung für ihren Erfolg zu übernehmen, steigert gleichzeitig ihre Motivation. Insofern hat konstruktives Feedback nicht nur zur Folge, dass die Empfänger des Feedbacks etwas lernen und damit ihre Fähigkeiten steigern, es erhöht auch die Leistungsbereitschaft. Auf der Kehrseite führt negatives Feedback, welches das Kompetenzgefühl schmälert, sowohl zu reduzierter autonomer als auch zu reduzierter fremdbestimmter Motivation1.

MitarbeiterInnen, die von ihren Vorgesetzten einbezogen werden, denen also Autonomie zugestanden und zugetraut wird, sind nicht nur zufriedener am Arbeitsplatz, sondern haben auch eine höhere autonome Motivation. Eine Chefin kann also durch ihr Hineinversetzen in die Perspektive ihres Gegenübers und durch Anerkennen der Gefühle ihrer MitarbeiterInnen deren intrinsische Motivation fördern. Mit ihrem wertschätzenden Verhalten und durch Berücksichtigung des Bezugsrahmens ihrer Untergebenen unterstützt sie deren Autonomie.

Neues Arbeiten braucht neue Motivation!

Die drei zuvor genannten universellen Bedürfnisse Autonomie, Kompetenz und Eingebundenheit sind der Treibstoff für sogenannte Tätigkeiten höherer Ordnung. Darunter sind heuristische Denkaufgaben (siehe Definition „Algorithmische Arbeit und heuristische Arbeit“) zusammengefasst, die über das reine Reproduzieren, Verstehen oder Anwenden von Wissen hinausgehen. Konkret ist das Analysieren, Bewerten und Erschaffen gemeint. Diese Tätigkeiten höherer Ordnung haben in unserer Post-Industriellen Wirtschaft eine stetig steigende Relevanz, da sie die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber reinen Produktionsstandorten aufrechterhalten.

Algorithmische Arbeit und heuristische Arbeit

Bei algorithmischen Aufgaben kann anhand von Prozessschritten oder eines Skriptes vorgegangen werden. Routinetätigkeiten, bei denen Entscheidungen anhand einer Formel oder eines Datenblattes vorgenommen werden können, können mit Hilfe einer Instruktion delegiert werden.

Heuristische Aufgaben hingegen, bei denen die Antwort erst entdeckt werden muss, können häufig nur durch experimentelle Annäherung gelöst werden. Hierunter fallen Aufgaben, wie z.B. das Konfigurieren einer Produktionslinie für Sonderproduktionen, Produktentwicklung, das Analysieren und Beheben von Qualitätsproblemen, sowie individueller Kundenservice. Es sind Tätigkeiten, die oft unter erschwerten Bedingungen stattfinden: Es liegen Informationslücken vor, der Kontext ändert sich im laufenden „Projekt“ oder die Lösung muss erst kreiert werden. Da es für diese Aufgaben keine vorgeschriebenen Verfahrensschritte gibt, können sie weder automatisiert noch delegiert werden. Heuristische Tätigkeiten werden auch als Tätigkeiten höherer Ordnung bezeichnet, da sie nicht von Rechenleistung abhängen sondern von Erfahrungswissen und Kreativität geprägt sind.

Autonome Motivation im Arbeitskontext

Die Vorteile von autonomer Motivation sind insbesondere dann massiv, wenn heuristische Tätigkeiten ausgeführt werden, wenn also ein agiles Mindset gefragt ist. Autonome Motivation ist robuster, was bedeutet, dass sie auch bei Fehlschlägen bestehen bleibt, und sie ist dauerhafter, da sie nicht abhängig von äußeren Faktoren ist. Vor allem aber ist sie besser geeignet, Menschen bei der Lösung komplexer Aufgaben, den Tätigkeiten höherer Ordnung, zu helfen, da sie die Menschen nicht darauf „festlegt“, wie sie etwas erreicht sollen, sondern den Antrieb aus dem Warum zieht. Wenn also z.B. ein bisheriges Vorgehen nicht mehr funktioniert, werden autonom motivierte MitarbeiterInnen nach einem Weg suchen, das Ziel dennoch zu erreichen, während sich fremdbestimmte MitarbeiterInnen eher rechtfertigen, warum der Vorgang nicht durchgeführt werden konnte.

Besonders bei komplizierten oder komplexen Aufgabenstellungen3, bei denen eine ständige Kontrolle nicht durchführbar ist, ist es wichtig, dass die Motivation lösungsorientiert ist. Wenn Prozessschritte „blind“ abgearbeitet werden, wie es noch bei algorithmischen Arbeiten erfolgsversprechend war, passiert es sonst zu leicht, dass ein sich bewegendes Ziel verfehlt wird. Ein komplizierter Kontext ist gegeben, sobald es mehrere Lösungen für ein Problem geben kann, wobei Expertenwissen nötig ist, um aus den good practices die passende Vorgehensweise herauszufinden. Vorgesetzte können nicht die Expertise für alle Themen in ihrem Bereich haben, daher wäre es extrem aufwändig, den MitarbeiterInnen bei ihrer Arbeit ständig über die Schulter schauen zu müssen oder Zielvorgaben zu machen, wenn das Ziel noch gar nicht definiert werden kann.

Häufig ist allerdings heutzutage bei heuristischen Aufgaben nicht einmal die Aufgabenstellung präzise formulierbar, da die Parameter, die solche Aufgaben beschreiben, sich in Bewegung befinden. Und somit gibt es auch keine Garantie dafür, dass überhaupt eine richtige Antwort existiert. In einem solchen Kontext müssen MitarbeiterInnen gezielt sondieren, genau beobachten und versuchen, Muster abzuleiten. Es müssen kreative Fragen gestellt werden, um innovative Antworten zu generieren. Auch hier sind detaillierte externe Vorgaben nicht zielführend – Menschen müssen agil sein, um hier erfolgreich zu sein.

Aufgaben in unserer heutigen Arbeitswelt werden allgemein immer komplizierter und komplexer. Daher wird es immer wichtiger, zu verstehen, wie wir Agilität in Teams fördern können – aber auch, welchen Mehrwert sie uns zum Thema „Menschen motivieren“ bieten kann.

1: Deci, E. & Ryan, R. (2002). The Handbook of Self-Determination Research. Rochester, NY: University of Rochester Press.

2: Csiksentimihalyi, M. (2001). Lebe gut! München: dtv.

3: Cynefin (gesprochen kun-iv-in) abgerufen am 4.1.2018.

Beitragsbild von Tom Byrne auf Flickr.